Die Linke und ihre Opfer
Im diesem März jährte sich zum hundertsten Mal die Niederschlagung der sogenannten März-Revolte von 1919. Bis zu 2000 Tote gab es in Berlin unter streikenden Arbeitern und revoltierenden Soldaten, aber auch Frauen und Kinder waren unter den Opfern. Die Täter stammten aus den berüchtigten Freikorps und setzten den Befehl um, den der Bluthund Noske ausgeben ließ: "Jede Person, die mit einer Waffe in der Hand gegen Regierungstruppen kämpfend angetroffen werde, ist sofort zu erschießen."
So jedenfalls wird die Geschichte von der Linken erzählt; und die Sozialdemokraten plappern es nach. Was in den neun Tagen zwischen dem 3. und 12. März jedoch tatsächlich geschah, ist im Grunde wenig belegt. Nachweislich rufen die Berliner Arbeiterräte am 3. März zum Generalstreik, der zunächst weitgehend befolgt wird. Der Streik fordert die Fortsetzung der Revolution vom November 1918. Damit stellt sich zumindest ein Teil der Arbeiter eindeutig gegen das aus den ersten freien und gleichen Wahlen im Januar 1919 hervorgegangene verfassungsgebende Parlament, die Nationalversammlung, die zeitgleich in Weimar tagt – es handelt sich also nicht um eine Revolte, sondern um einen Putschversuch von Links, der in eine Reihe mit anderen Putschversuchen wie denen von Ludendorf, Kapp und Hitler gehört.
Weiter ist sicher, dass das preußische Staatsministerium am 3.März über Berlin und Spandau den Belagerungszustand verhängt und den Oberbefehl über die Regierungstruppen Gustav Noske überträgt. Der Streik wird nach Zugeständnissen seitens der Regierung und Unstimmigkeiten unter den Streikenden bis zum 8. März schrittweise beendet; nun beginnen die Kämpfe zwischen linken Putschisten und Regierungstruppen. Am 9. März erobern Putschisten zuerst das Lichtenberger Postamt und dann das Lichtenberger Polizeipräsidium. In einer von praktisch allen Zeitungen verbreiteten Nachricht wird am 10. März über ein Massaker an Regierungssoldaten berichtet. Auch diese Berichte – nicht das, worüber berichtet wird! – gelten als sicher. Dass nun der Befehlshaber Noske befiehlt, jeden zu erschießen, der mit einer Waffe angetroffen wird, wird gleichfalls von niemand bestritten. Noske selber berichtet davon am 13. März vor der in Weimar tagenden Nationalversammlung, als er die Geschehnisse schildert. Er wollte verhindern, dass in Deutschland eine Machtergreifung von Links erfolgt und ein Bürgerkrieg ausbricht, wie er seit Monaten schon in Russland tobt. Soweit die Tatsachen.
Zu diesem gut belegten Geschehen phantasieren linke Politiker und politisierende Historiker seit ebenfalls beinahe 100 Jahren ihre Geschichten und Schauergeschichten hinzu – darin der Presse gleich, die am 10. März von dem Massaker berichtete, das in Wirklichkeit niemals geschehen war. Auch der Lichtenberger Bürgermeister Grunst gehört zu diesen Erzählern, wenn er anlässlich der Eröffnung einer Ausstellung über die Ereignisse behauptet, die Presse habe damals "fake news" verbreitet. Weiß der Bürgermeister nicht, dass die Presse damals nur wiedergab, was von entkommenen Regierungstruppen vermutet worden war ? Oder weiß er einfach nicht, was "fake news" bedeutet ? Oder weiß er es und ist selber der, der "fake news" verbreitet ?
Klären wir auf: "fake news" sind laut Wiki "manipulativ verbreitete, vorgetäuschte Nachrichten". Und genau um eine solche Nachricht über ein Massaker an Regierungssoldaten handelte es sich am 10. März 1919 eben nicht! Die Zeitungen kannten nicht etwa die Wahrheit und haben dann wissentlich wahrheitswidrig berichtet. Es war lediglich eine Vermutung. Doch Bürgermeister Grunst macht daraus eine wissentliche Falschnachricht, wohl wissend, dass das nicht stimmt, denn man darf ja wohl annehmen, dass er die Ausstellung kennt, die er gerade eröffnet. Bürgermeister Grunst verbreitet also das, was er selber als "fake news" bezeichnet.
Ganz so schlimm ist es mit den weiteren Erzählungen um die Geschehnisse zwischen dem 10. und 12. März nicht bestellt. Sie sind nicht erlogen; nur sind sie auch nicht beweisbar. Denn die Quellen sind entweder das, was Historiker "unsicher" nennen oder schlicht unseriös. Ein Beispiel: Die eine Quelle, auf die sich fast alle berufen, stammt von Emil Julius Gumbel. Pazifist, Statistiker und linker Publizist, veröffentlichte er eine Analyse politischer Morde in der Weimarer Republik. Sie erschien unter zwei verschiedenen Titeln: "Zwei Jahre Mord", später "Vier Jahre politischer Mord". Auch er schreibt über die Pressemitteilungen zu dem angeblichen Massaker im Lichtenberger Postamt bzw. Polizeipräsidium: "Alle diese Meldungen waren erlogen." – was Gumbel nicht nachweisen kann. Er vermutet hinter der Falschmeldung eine Lüge. Was Gumbel des weiteren liefert, sind Zeitungsberichte jener unruhigen Tage. Nichts davon ist bewiesen, vieles offenbar Phantasterei, wie etwa ein Angriff mit einem Bomber. Dabei hätten gerade die Falschmeldungen der Zeitungen über die Geschehnisse in Lichtenberg Gumbel Warnung genug sein sollen.
Diese einseitige Sicht auf die Ereignisse im März 1919 ist kein Zufall gewesen. Gumbel stand politisch links. Gegenüber den Morden und Massenmorden durch Linke – zur Erinnerung: Kommunisten sind Linke – war er so blind, wie es heute viele Linke – aus Vorsatz oder Dummheit sei offen gelassen – immer noch sind. Bei seinen Besuchen in der Sowjetunion ignorierte er konsequent und noch bis in die 1940er Jahre die Realitäten kommunistischen Terrors und Völkermords. Oder war es tatsächlich noch schlimmer ? In seinem Aufsatz "Klassenkampf und Statistik" von 1927 schreibt Gumbel: "Bei politischen Morden selbst ist zu unterscheiden, ob sie revolutionär oder konterrevolutionär sind."
Vor diesem Hintergrund wird schnell klar, warum Gumbel bei seiner Analyse politischer Morde zu dem Ergebnis gelangt, dass die Justiz in Weimar einseitig zu Lasten der Linken bestrafte. Nur ging Gumbel hier raffinierter vor und berief sich auf sein Fachgebiet, die Statistik. Sein Beweisverfahren war einfach: Der Anteil abgeurteilter rechter Angeklagter war deutlich niedriger als bei den Angeklagten von links. Nur beweist das eben gar nichts. Denn wenn irgendwo Statistik wenig besagt, dann bei der Verteilung von Strafen. Dass weniger Rechte Angeklagte verurteilt wurden, beweist zunächst allein, dass im Sinne der Anklage weniger schuldig waren als Linke. Hier kann man nur den Inhalt des konkreten Urteils bewerten; diese Arbeit aber hat sich Gumbel gespart.
Ernst Troeltsch hatte einen klareren Blick auf die linken Putschisten und ihre Motive, als er sie den in Weimar versammelten Demokraten und Republikanern gegenüberstellte: Sie "erklären, Mehrheit und Demokratie sei Unsinn, proklamieren die Herrschaft der Minderheit, die allein die nötige Rücksichtslosigkeit aufbringe, und bezeichnen jedes Programm der Ordnung als bürgerlich, (…) vertreten den Krieg und Kampf, die Hinübertragung der Revolution zu unseren Feinden und die Auflösung des Staatensystems der ganzen Welt, den rücksichtslosen Kampf der ideenerfüllten Minorität gegen die bürgerliche und spießerhafte Majorität, die überhaupt gar nicht mithelfen, sondern zwangsmäßig dienen soll." Dafür standen die linken Putschisten im März 1919. Ihr Sieg hätte linken Terror und Tod über Deutschland gebracht. Da es aber in Deutschland nicht so kam, statt dessen Nationalsozialisten die Oberhand behielten und das Land terrorisierten, können sich Linke heute als Opfer gerieren. Darüber machen ihre Vertreter wie Bürgermeister Grunst in einer perfiden Verdrehung die Geschichte linker Massen- und Völkermorde – ausdrücklich Plural – vergessen und finden zugleich einen Grund, den Terror, mit dem linke Gruppen heute Berlin überziehen, nicht zu bekämpfen.
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