Der Genderstern oder: Die Mechanisierung des Geschlechts
Wenn es einen Gott der Linguistik gibt – und etwas anderes anzunehmen heißt, die Möglichkeit der Schönheit einer Sprache zu leugnen –, wenn es also einen Gott der Linguistik gibt, dann beweist er in diesen Zeiten Humor. Ja, ich nehme an, er sitzt in seinem Haus des Denkens und amüsiert sich gemeinsam mit dem Gott des Digitalen, der weit unter ihm steht, über die Sprechenden, die nicht erkennen, wie beide sie narren.
Für ihre Narreteien haben sie sich einige besondere Zeichen erdacht. Eines davon zählt zu den großen Ärgernissen, mit denen das Gendermainstreaming die Deutsche Sprache zu verunstalten sucht: Der Genderstern. Immer häufiger ist er in Briefen aus der Verwaltung zu sehen; man könnte fast von einer Art Gewöhnung sprechen; selbst Witze über die holprige Schreibweise gelten als überholt. Es braucht schon die sprachliche Ungelenktheit der Konstruktion Bürger*innenmeister*in, um im Internet mehr als ein Hintergrundrauschen erzeugen zu können oder eine Fernsehansagerin, die vergeblich versucht, den Genderstern mitzusprechen.
Doch in allen Diskussionen und Anfeindungen, die über den Genderstern ausgetauscht wurden, ging ein Aspekt völlig verloren. Und dabei ist dieser – jenseits aller sprachästhetischen Erörterungen – nun wirklich der mit dem größten Aussagewert. Denn er macht deutlich, was sich hier über ein einzelnes Zeichen tatsächlich vollzieht: Die Durchdringung unserer Sprache mit einem Gift, mit einem ganz besonderen Gift, mit dem Gift der Technisierung, ja Mechanisierung unserer Sprache und unser beider Geschlechter.
Auf den Einfluss von Mechanisierung und Technik auf unsere Sprache wurde schon oft hingewiesen; so in der immer noch lesenswerten Studie ›LTI‹ – ›Lingua Tertii Imperii‹, Sprache des Dritten Reiches – von Victor Klemperer. Er beklagt »die Masse der mechanisierenden Wörter« im National-Sozialismus und dokumentiert an Verben wie ›einstellen‹, ›ankurbeln‹ und ›gleichschalten‹ den »Übergriff technischer Wendungen auf nichttechnische Bereiche« und damit das in seinen Augen letztendlich »eindeutige Mechanisieren der Person« – Vorstufe der Erniedrigung des Menschen zum bloßen Objekt und schließlich seiner Vernichtung. In weiser Voraussicht deutet Klemperer an, dass es eine Sprache nicht nur des Dritten, sondern auch eines womöglich drohenden Vierten Reichs geben könnte, denn immer offenbart die Sprache das Wesen einer Gesellschaft – sei es nun die des Dritten Reichs oder anderer Gemeinschaften mit einer gemeinsamen Sprache.
Zu den Ausdrucksmitteln einer Sprache, die etwas über eine Gemeinschaft aussagen können, zählt Klemperer nicht nur die mechanisierten Worte; nein, Satzzeichen besagen ebenfalls etwas. Während des Nationalsozialismus war es aber nicht etwa, wie mancher erwartet, das Ausrufezeichen, sondern das »ironische Anführungszeichen«. Schwer zu sagen, was Klemperer, der am 11. Februar 1960 in Dresden verstarb, über die Jahre nach ihm in Westdeutschland gesagt haben würde. Damals wurden die ironischen Anführungszeichen zum primitiven Stilmittel der ungezählten Pamphlete und Resolutionen einer Studentenbewegung, die meinte, gebildet zu sein.
Die heutige Zeit hat neben einer Vielzahl von typischen Worten ebenfalls typische Zeichen. Der Genderstern ist eines davon. Über seine Syntax erfährt der Leser im Internet, es gehöre zwischen die männliche und die weibliche Endung eines Wortes: Aus Bürger und Bürgerin wird dann Bürger*in, aus Schüler und Schülerin Schüler*in.
Anders als vielfach angenommen, ist mit dem Genderstern keine Gleichstellung beider Geschlechter gemeint; es geht nicht darum, zusätzlich zur männlichen Form Bürger noch das weibliche Bürgerin zu verwenden, um damit auf lexikalischer Ebene eine Art Gleichheit zu schaffen. Nein, der Genderstern bezeichnet sämtliche Geschlechter im Gebiet zwischen Bürger und Bürgerin, zwischen männlich und weiblich. Ob es diese Übergänge tatsächlich gibt, tut hier nichts zur Sache.
Damit ist der Genderstern eine Verkürzung. Statt alle Zwischengeschlechter zu nennen, werden sie allesamt durch einen Stern dargestellt – eine, trotz aller insgeheim drohenden und denkbaren Diskriminierung der Zwischengeschlechter, die ja nun alle über einen einzigen Kamm geschert werden, verständliche Kurzform – eine Kurzform mit einer Geschichte, einer digitalen Geschichte.
Der Stern wird seit langem im Rahmen technischer Sprachen im Umgang mit Computern gebraucht. Dort tritt er nicht nur als mathematisches Zeichen für diverse Operationen wie die Multiplikation, sondern zudem in zwei spezifisch computertechnischen Bedeutungen auf, von denen zumindest eine mit dem Genderstern direkt verwandt ist.
In der ersten Form beschreibt der digitale Stern als sogenannter Kleenscher Stern-Operator – benannt nach dem theoretischen Informatiker Stephen Cole Kleene – die Vervielfachung eines Symbols, entfernt vergleichbar den Pünktchen-Pünktchen der gewöhnlichen Sprache oder auch dem Überstrich in 3,314, um eine endlose Wiederholung anzudeuten. Mit dieser Deutung hat der Genderstern kaum etwas zu gemein, denn Bürger*in ist sicher nicht als endlose Wiederholung des Bürgers zu lesen.
Es ist die zweite Bedeutung des digitalen Sterns, die dem Genderstern in jeder Hinsicht entspricht. Sie wird beim Löschen von Dateien gebraucht und macht den Stern bei der Texteingabe zu einem Ersatz für beliebige Folgen von Zeichen. Da die meisten Benutzer eines Computers Dateien mit einem Mausklick löschen, ist dieses Sprachelement nur jenen bekannt, die sich noch an die Texteingabe bei MS-DOS erinnern und jenen, die auf einer UNIX-Eingabeoberfläche zu Haus sind. Leicht verständlich ist sie trotzdem: Schreibe ich etwa ›lösche *‹, dann wird nicht eine Datei mit dem Namen ›*‹, sondern es werden sämtliche Dateien gelöscht – der Stern vertritt alle Folgen von Zeichen. Schreibe ich ›lösche a*b‹ werden Dateien gelöscht, deren Name mit a beginnt und auf b endet. Der Ausdruck ›a*b‹ benennt also in einer Kurzform eine größere Zahl von Dateien, die gelöscht werden sollen. Und er macht es auf formelartige Weise.
Damit aber ist der Stern einer Sprache für Computer das Vorbild für den Stern einer menschlichen Sprache, der den einen wichtig und den andren ein Graus ist: Für den Genderstern. Auch mit dem Ausdruck Bürger*innen wird formelhaft alles benannt, was sich irgendwo zwischen Bürger und Bürgerin einordnen will. Wo auf einem Computer mit dem Stern auf mechanischem Weg potentiell unendlich viele Dateien benannt werden können, werden nun in der wirklichen Welt mit einem Formelzeichen unendlich viele Geschlechterzwischenstufen benannt.
Das kann man, verharmlosend, zu einem Ausdruck menschlichen Zeichenspieltriebs erklären. Und wäre es den Sprachmechanikern, die den Genderstern auf Biegen und Brechen durchsetzen wollen, nicht so tödlich ernst mit ihrer Absicht, bliebe das zusätzliche Zeichen eine Marotte von Leuten, die gerne spielen; es würden sich weitschweifige Diskussionen, wie denn Bürgerinnenmeisterin gendergerecht formuliert werden muss, ergeben, in denen sich der Zeichentrieb am Bilden von gendergerechten Ausdrücken austobt – ähnlich wie in der Welt des Computers. Jedes Forum mit Programmierer ist gefüllt mit ähnlichen Diskussionen über die Bedeutung und Korrektheit eines Ausdrucks: Heißt es Bürger*innenmeister*in oder vielleicht doch nur Bürgermeister*in ? Was ist mit einer Variante wie (Bürgermeister)*in ? Werden alle denkbaren Geschlechter benannt ? – Versuche, möglichst absurde Ausdrücke zu finden, liefern die Kritiker des Gendersterns frei Haus.
Der Spaß hört allerdings auf, wenn der Druck des Digitalen unterschwellig die Sprache erfasst. Man muss nur den vergeblichen Versuchen zuhören, den Genderstern in die gesprochene Rede zu holen; es will nicht gelingen. Und es kann nicht gelingen. Denn der Genderstern ist ein technisches Zeichen und wie beim Lesen mathematischer Formeln und den Texten von Computerprogrammen spricht man ihn nicht. Überhaupt niemand spricht in einer Computersprache mit seinem Computer, selbst wenn er ständig mit ihm schimpft.
Anders gesagt: Mit dem Genderstern haben Elemente formaler Sprachen Einzug in die natürliche Sprache gefunden, die dafür sorgen, dass wir Zeichen verwenden, die wir nicht aussprechen können – und wer weiß, wann wir ganz zu sprechen aufhören.
Nun, das wird wohl noch etwas dauern. Doch bevor es soweit ist, reicht die Einzug der formalen Sprachen aus der Welt des Digitalen weitaus tiefer als die Verwendung englischer Ausdrücke aus dem Computerjargon; er reicht in unser Geschlecht. Der Unterschied, der unser menschliches Wesen in aller Tiefe sowohl animalisch als auch künstlerisch zeigt wie nichts zweites, der Unterschied der Geschlechter, dieser Unterschied wird durch ein Symbol aus der mechanischen Welt des Computers nivelliert: Dem Genderstern.
Vielleicht haben einige Kämpfer für das Gendermainstreaming ja doch eine trübe Ahnung, dass etwas nicht stimmt und deshalb den Genderstern durch andere Zeichen ersetzt: Hier ist es der Unterstrich, dort der Doppelpunkt. Es wird also Bürger_in oder auch Bürger:in geschrieben. Nur ändert das nichts. Denn beide Zeichen stammen als Teil von Worten gleichfalls aus der Welt des Computers: Der Unterstrich trennt zwei Worte, die aus technischen Gründen, die hier zu erläutern zu weit führen würde, nicht durch ein Leerzeichen getrennt werden dürfen. Der Doppelpunkt trennt eine Art Vorwahl vom Anschluss, die Bürgerin würde zur Durchwahl des Bürgers – sicher nichts, was von den Verwendern intendiert worden ist und deutlich zeigt, dass die, die Sonderzeichen aus formalen Sprachen in Wörter einfügen wollen, nicht wissen, was sie eigentlich tun.
Was wir hier, unabhängig vom Zeichen, erleben, ist nicht weniger, als ein Übergriff der Technik auf unser menschliches Wesen mit Hilfe der Sprache. Dass der Übergriff ausgerechnet von jenen forciert wird, die in den meisten Fällen wenig von Technik verstehen und in vielen Fällen ein Leben bestimmt durch welche Technik auch immer, übrigens völlig zu recht, ablehnen würden, macht die Entwicklung sowohl ernst als auch amüsant, jedenfalls aus der Warte der linguistischen Götter. Sie sehen im Genderstern sicherlich nur einen neuen Beweis, dass die Menschen nicht Maß halten können. Mit dem Genderstern und dem Wunsch, das Geschlecht nach Lust und Laune wechseln zu können, versuchen sie ihre Natur zu negieren und wenn schon nicht wie die Götter zu werden, so doch wenigstens Entscheidungen treffen zu können, die nur die Götter allein treffen sollten: Zu welchem Geschlecht sie gehören.
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