Mitunter trifft einen das Glück, die Betrüger bei der Arbeit zu sehen. Was im wissenschaftlichen, oder sollte ich sagen pseudowissenschaftlichen Leben bedeutet, daß jemand sich genau gibt und tatsächlich die Hälfte weglässt, die ihm nicht passt. Ein gewisser Michael Rothberg hat eine Arbeit über »Multidirektionale Erinnerungen« verfasst, in der die Ermordung der europäischen Juden mit dem europäischen Imperialismus in einen Topf geworfen wird und das mit Rückgriff auf Hannah Arendts Studie über die Elemente totaler Herrschaft, die bis heute wegweisend ist.
Wie jeder woke Politologe ist Rothberg kräftig bemüht, überall Rassismus zu finden, so auch bei Arendt. Und als Arendt in einer Passage die afrikanische Welt beim Eintreffen der Europäer beschreibt, scheint er fündig geworden zu sein: »Was sie (die Schwarzen) von anderen Menschen unterschied, war keineswegs ihre Hautfarbe, sondern die Tatsache, daß sie sich wie ein Teil der Natur verhielten, daß sie die Natur wie ihren unbestrittenen Herren behandelten, daß sie keine menschliche Welt, daß sie keine menschliche Realität geschaffen hatten, und daß daher die Natur in ihrer ganzen Majestät die einzige überwältigende Realität geblieben war, im Vergleich zu der sie als Phantome, unwirklich und geisterhaft erschienen.«
Diese durchaus nachvollziehbare Beschreibung dient bei Arendt einem Zweck: In dieser Rohheit Afrikas sieht Arendt bereits die Realität der Konzentrations- und Vernichtungslager angekündigt. Was natürlich eine bemerkenswerte Verbindungslinie zur Vernichtung in den Lagern im modernsten Jahrhundert und den archaischen Lebensweisen im Afrika der Jahrhundertwende zieht. Und die passt Rothberg nicht.
Also was macht dieser Pseudowissenschaftler? – Er belässt es bei der zitierten Passage, die er sogar mit einer eigenen Übersetzung versieht, echauffiert sich darüber, daß die jüdische Philosophin von den Schwarzen als unwirklichen und geisterhaften Phantomen spricht, und übergeht den folgenden Abschnitt bei Arendt, in dem sie zum Kolonialismus mehr beizutragen hat, als Rothberg in seiner ganzen Arbeit.
Denn Arendt verweist im unmittelbar folgenden Satz darauf, dass die Vernichtung anderer Stämme von jeher Teil der Geschichte Afrikas waren; Fakten, die jedem bekannt sind, der sich mit den Machtkämpfen auf dem Schwarzen Kontinent beschäftigt.
Auch zur Sklaverei hat Arendt eine klare Ansicht: »Slavery in the case of the Boers was a form of adjustment of a European people to a black race, and only superficially resembles those historical instances when it had been a result of conquest or slave trade.« [Origins, 251] Kurz gesagt: Die Sklaverei hatte eigentlich afrikanische Wurzeln! Die Europäer passten sich den Schwarzen lediglich an. Darüber kann man natürlich streiten. Aber in keinem Fall ist es erlaubt, diese Sätze, die dem Zitat, wie gesagt, unmittelbar folgen, zu unterschlagen.
Zumal dem Leser ein auf heute leicht übertragbarer Gedanke vorenthalten wird. Über die Buren schreibt Arendt zwei Absätze später: »The Boers were the first European group to become completely alienated from the pride which Western man felt in living in a world created and fabricated by himself.« [Origins, 252] Auf heute übertragen könnte man mit Hannah Arendt sagen: Dieser Stolz auf die eigene Leistung zeichnet den Europäer vor dem Schwarzafrikaner aus.
Und damit trifft sie einen Kern der heutigen Entwicklung gerade in Deutschland: Ein Blick etwa auf das »Bürgergeld« und die Gratisleistungen für Migranten zeigt diese »Errungenschaften« als das Gegenteil des Stolzes auf die eigene Leistung. Und wenn man liest, wie Arendt die Gesellschaft Südafrikas beschreibt: »lack of initiative, laziness, neglet of tools, general inefficiency«, – »Mangel an Initiative, Faulheit, Vernachlässigung der Werkzeuge, generelle Ineffizienz«, – dann fühlt man sich an Deutschland heute erinnert.
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