Eine maskuline Außenpolitikerin –
Ein kleines Experiment bringt mitunter die Wahrheit an den Tag, oder besser die Realitäten. Hier ist es ein Vergleich, ein Vergleich der Gegenwart mit dem Vergangenen. Konkret: Annalena Baerbock im Vergleich mit ihren Vorgängern im Amt. Das Experiment: Wir betrachten die Fotos sämtlicher Außenminister Deutschlands seit 1871. Was nicht so einfach ist, weil das Internet zwar umgehend Listen mit den deutschen Außenministern seit 1951 anbietet, es aber mit den Außenministern zuvor nicht ganz so leicht macht.
Doch egal, wie man es dreht und wendet: Annalena Baerbock ist ein deutscher Minister »des Auswärtigen« – wie das Amt einmal hieß, von auswärts wie »auswärts essen«. Ja, im gewissen Sinne ist Frau Baerbock sogar ein typischer deutscher Außenminister – ausdrücklich männlich, weil alle bisherigen Amtsinhaber Männer waren. Da mögen noch so viele Kommentatoren über sie als Frau spotten, daß sich die Balken biegen und es weder den Grünen noch den Alternativen gefällt, sie als männlich zu charakterisieren, wenn auch aus ganz gegensätzlichen Gründen und sei es auch nur, weil sie Xerxes nicht hören als er nach der Niederlage von Salamis resümierte: »Heute sind alle meine Männer zu Weibern geworden und meine einzige Frau zu einem Mann.«
Sei's drum. Denn Frau Baerbock ist ein typisch deutscher Außenminister. Sie ist tritt laut auf, sie erscheint rabiat und sie ist absolut erfolglos; wobei sie, das muß deutlich festgestellt werden, für letzteres nichts kann. Schließlich hatten weder Ost- noch Westdeutschland nach dem zweiten verlorenen Weltkrieg eine Außenpolitik, die den Namen verdiente. Willy Brandt agierte im gewissen Sinne innenpolitisch, als er in Warschau und Moskau klare und mit Ostberlin besondere Verhältnisse schaffte, indem er die faktische Landnahme dort und die faktische Landesteilung hier vertraglich sanktionierte. Und sämtliche Bemühungen Bonns und Berlins seit 1989 um eine Außenpolitik, die den Namen verdiente, also eine eigenständige Außenpolitik, sind nichts weiter als vergebliches Mühen.
Aber zuvor, ab 1871, da gab es so etwas wie eine deutsche Außenpolitik. Doch mit wem will man Annalena Baerbock vergleichen, um sie anschließend vielleicht in seine Nähe zu rücken? – Sicher nicht mit den in Nürnberg gehängten Joachim von Ribbentrop und Arthur Seyß-Inquart.
Walther Rathenau und Gustav Stresemann scheinen auf den ersten Blick die besseren Kandidaten zu sein. Die beiden Minister des Auswärtigen aus der Weimarer Zeit unterstützten die Annexionspolitik des Deutschen Kaiserreichs im Ersten Weltkrieg nicht nur nach Außen – was man ihnen kaum vorwerfen kann –, sondern auch in den diplomatischen Hinterzimmern, als es längst Zeit gewesen wäre, abgestimmt und diplomatisch, andere würden sagen, trickreich zu handeln. Und das ist es, was gerade deutsche Außenminister nicht können: Sich der Lage anpassen, leise auftreten, Zurückhaltung üben, auf eine günstige Gelegenheit warten.
Trotzdem tritt bei aller Ähnlichkeit der ganze Jammer aktueller deutscher Außenpolitik beim Anblick von Rathenau und Stresemann deutlich zu Tage, weil er einen Ausdruck erhält, der sich im Gesichtsausdruck zeigt: Heute eine pausbäckige Amateurin, gestern zwei gestandene, erfahrene, vor allem kriegserfahrene Herren, wie es sie heute, soviel Entschuldigung für Baerbock muß wiederum sein, ohnehin nicht mehr gibt. Und daher käme eben niemand auf die Idee, Frau Baerbock zum Beispiel in die Nähe von zunächst Reichskanzler und später Außenminister Stresemann rücken zu wollen, nicht einmal in der Reihenfolge Minister und anschließend Kanzler, die Frau Baerbock sich erträumt. In seinen Fußstapfen könnte Baerbock allenfalls bildhaft Trampolin springen.
Deutliche eher passt Frau Baerbock neben jenen Arthur Zimmermann, dessen peinliche und folgerichtig nach ihm benannte Depesche mit der Aufforderung an Mexiko, in einen möglichen Krieg gegen die Vereinigten Staaten einzutreten mit dem Versprechen, die an Washington einige Jahrzehnte zuvor verlorenen Gebiete zurückzuerhalten. Auch hier haben wir diplomatisches Ungeschick gepaart mit gnadenloser Selbstüberschätzung, die einen deutschen Minister dazu treibt, sich ohne entsprechende Mittel, in entfernten Teilen der Welt wichtig zu machen.
Aber am ehesten ähnelt Frau Baerbocks jenem unglückseligen Ulrich Graf von Brockdorff-Rantzau, dessen Auftritt in Versailles bei der Übergabe der Friedensbedingungen an die deutsche Delegation durch die siegreichen Alliierten am 7. Mai 1919 im Trianon-Palast in Paris Deutschland jede Chance auf einen auch nur näherungsweise günstigeren Frieden zunichte machte. Laut, arrogant, selbstgerecht – so die noch eher freundlichen Kommentare zu seiner Rede, in der er Deutschland zunächst in die Rolle des Schuldigen brachte, um sein Land anschließend von aller Schuld freizusprechen und, als wäre das nicht genug, den Schwarzen Peter den Alliierten zuschob. Ein Beobachter brachte die Wirkung des Auftritts von Brockdorff-Rantzau auf den Punkt: »Wir wollen ihn entschuldigen. Gehört nicht schon ein großer Grad lächerlichen Selbstvertrauens dazu, um in diesem Augenblick zermalmender Vernichtung, die sich vor aller Öffentlichkeit vollzieht, überhaupt noch imstande zu sein, einen Rest von Lebensfähigkeit zu bewahren.« »Lächerliches Selbstvertrauen« – so lässt sich Baerbocks Seiltanz mit den Öffentlichkeit seit ihrem Kanzlerkandidatursfiasko treffend beschreiben.
Schlimmer ist jedoch die inhaltliche Verwandtschaft der beiden Figuren Baerbock und Brockdorff-Rantzau. Denn gerade indem der unselige deutsche Verhandlungsführer den Begriff der Schuld in Paris auf den Verhandlungstisch knallte, weil er die Position Deutschlands männlich verteidigen wollte, zerriss er das letzte bißchen Tischtuch zwischen Siegern und Besiegten, und sorgte statt dessen für den »Einbruch des moralisierenden Denkens in die internationale Politik«, wie der Historiker der Deutschen Außenpolitik der Zeit am Ende des Krieges Peter Krüger resümierte.
Von dort ist es nur ein kleiner Schritt zur ständigen Rede von einer »feministischen Außenpolitik«, die in der Welt standhaft vertreten werden müsse, einer sozusagen »maskulin« vertretenen »feministischen Außenpolitik«, einer Außenpolitik mit gendergerecht wechselndem Geschlecht. In diesem Sinne – und nur in diesem –, ist Frau Baerbock typisch deutsch und typisch männlich, gepaart mit einem ungesunden Schuss Kindlichkeit, etwas, was man ja ebenfalls bei Männern kennt. Was nicht heißt, daß es nicht auch andere gibt.
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